Alte Mythen und wie sie noch heute wirken

Was fällt dir ein, wenn du den Begiff Mythos hörst?

Geschichten von lang vergangenen Zeiten? Faszinierende Geschichten, teils erschreckend, mal phantastisch, mal sehr fremd? Stoff aus der Schule, der eher langweilig oder auch faszinierend war?

Aber das hat mit uns hier und heute doch nicht wirklich mehr etwas zu tun, oder? Wir sind ja aufgeklärt, leben im globalisierten 21. Jahrhundert und übers Internet haben wir Zugang zu einem fast unendlich grossen Wissenschatz und bekommen innert Sekundenschnelle mit, was weit entfernt oder gleich um die Ecke passiert. Die Suchmaschine wird mir schon sagen, was das zu bedeuten hat und wie ich damit umgehen soll.

Je länger ich mit Menschen arbeite (mittlerweile seit mehr als 12 Jahren), desto klarer wird mir, wie stark die alten Mythen immer noch wirken und lebensprägend Einfluss auf der alltäglichen Ebene nehmen, ohne dass die meisten Menschen überhaupt etwas davon wahrnehmen. Der bekannte Mythen und Märchenforscher Joseph Campell sagte z.B.: "Zweifellos ist die Mythologie kein Spielzeug für Kinder. Ebenso ist sie kein altmodisches, bloss gelehrtes Anliegen ohne Bedeutung für die modernen Menschen der Tat. Denn ihre Symbole berühren die tiefsten Zentren des Motivation, lösen dort etwas aus, bewegen Zivilisationen."

Wollen wir Gesundheit und Krankheit wirklich verstehen, kommen wir nicht darum herum hinabzusteigen, zu den Geschichten, Mythen und Märchen, die unsere Vorfahren sich erzählten und die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und werden. Dort wurden vor mehreren Jahrtausenden wesentliche Weichen gestellt, z.B. die Leibfeindlichkeit, die Abwertung des Weiblichen, die Überbetonung des Verstandes und des Denkens, das trennende entweder-oder Prinzip statt das verbindende sowohl-als-auch Prinzip. Der Mensch hat seine Intelligenz bisher in den Krieg gesteckt, statt in die Liebe.

Unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungnen sind ein menschliches Produkt. Wir Menschen haben keinen direkten Zugang zur ersten Natur (dem kantschen Ding an Sich; der Landschaft). Wir Menschen konstruieren uns eine künstliche zweite Natur (Landkarten) und nennen das Kultur. Dinge erhalten in sozialen Handlungszusammenhängen (z.B. über Kommunikation) Bedeutung. Die alltägliche Wirklichkeit wird so zur „obersten“ Wirklichkeit. Berger und Luckmann sprechen von der
gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. Diese Wirklichkeiten können uns Menschen krank machen, oder wenn sie menschengerecht sind, können sie uns auch zum erblühen verhelfen.

 

Was ist denn nun der prägende Mythos unserer Zeit und wir wirkt sich der auf uns aus?

Der typische Mythos für den Menschen unserer Zeit kann als der der mentale, zergliederte Mensch der Moderne bezeichnet werden. Exemplarisch benannt durch Descartes Spaltung in res cogitans (ich denke also bin ich; das Gute) und res extensa (Die Gefühle/Empathie, der triebhafte Körper und GEIST, alles mehr als reine Materie; das Schlechte). Als sich dieses System formierte haben führende Denker der Neuzeit wie Thomas Hobbes oder René Descartes die Welt und die Gesellschaft als eine Maschine dargestellt. Das Vorbild dafür war das Militär. Menschen sollten in den ökonomischen und militärischen Apparaten funktionieren wie Räder in einer Maschinerie. Der US-Historiker Lewis Mumford prägte den Begriff „Megamaschine“ dafür. Kein Wunder kommen sich heute viele Menschen wie im berühmten Hamsterrad vor. Sie funktionieren besser oder schlechter, fühlen sich aber schon lange nicht mehr wirklich wohl, geschweige denn glücklich.

Im manisch beschleunigten 21. Jahrhundert werden wir schon lange mit den Schattenseiten dieses vermeintlich alternativlosen "schneller-höher-weiter" konfrontiert: Eine epidemische Zunahme von Stressfolgeerkrankungen. Die WHO geht davon aus, dass 70% aller Krankheiten (körperliche, psycho-somatische, wie psychische) mit Stress zusammenhängen. Kein Wunder sind Burnout, Angsstörungen oder Depressionen sich epidemisch am ausbreiten.

 

Der hyperrationale Mann und wo wir ansetzen können (müssen) für Veränderungen

Dass der vernünftige Geist eine unbewusste Dimension haben sollte, war und bleibt an sich entweder geheimnisvoll oder problematisch, abhängig von seiner Neigung. Das 19. Jahrhundert erlebte einen alarmierenden Anstieg von Wahnsinn, Hysterie oder psychischen Erkrankungen. Die Begriffe veränderten sich im Laufe der Zeit, aber die eigentliche Definition von “psychisch krank” - die lautete „das, was nicht in das Rational Man-Projekt passte“ -, tat dies nicht. So bringt es der englische Psychotherapeut Nick Duffel auf den Punkt, der ein spannendes Buch über den hyperrationalen Mensch geschrieben hat.

Duffel sieht den Rational Man als von den tiefsten Triebfedern innerer Angst und äusseren Selbstvertrauen getrieben. Die Sprache wird als Verteidigungsmittel eingesetzt. Für diesen Schlag Menschen ist die Psychologie eine sehr beängstigende Idee. Die Viktorianer hatten ein Entsetzen gegenüber Selbstreflexion oder „Nabelblick“, wie sie es verächtlich nannten. Für den Menschen mit einem gepanzerten Wesenskern (im Sinne von Wilhelm Reich) ist die größte Angst die Exposition, und genau das ist es, was die Selbstreflektion für ihn darstellt. Eine Entdeckung würde bedeuten, dass das gesamte Kartenhaus zusammenbrechen könnte.

Die hyperrationalisierte Welt hatte sich bereits an das Fehlen des nährenden weiblichen Prinzips gewöhnt und entwickelte ein geniales und präzises Werkzeug, um die nicht rationalen Elemente unter Kontrolle zu bekommen: Es wurde der
erbarmungslose und wertende innere Protestant gewissermassen als Betriebssystem in der Psyche installiert. Im psychoanalytischen Jargon spricht man von einem rigiden Über-Ich. Das bedeutet, dass die Quelle von Selbstverachtung, Beschämung, Ablehnung und Schuldgefühlen nun nicht mehr so sehr von aussen kommt, sondern aus dem tiefsten eigenen Inneren. Die zugrundeliegenden, gelernten und verinnerlichten Mythen, werden dann meistens nicht mehr erkannt. Fast zwangsläufig werden nun die „weichen“ Lebensbereiche wie Liebe, Emotionalität, Verbundenheit und Intimität als utopische Phantasien entwerten. Kontakt mit diesen Themen würde die kollektiv unerlösten und schmerzhaften Wunden in der Liebe wieder anklingen lassen und das wird nicht ertragen. Auf diesem Weg setzt sich die aktuell vorherrschenden Mythen fort und verlangen fortlaufend nach Ersatzlösungen: Sucht, übermässig viel Arbeiten, Gewalt, Erschöpfung...

Der Ausweg  ist, die unverstandenen, ungeliebten Seiten von uns Menschen anzuschauen, anzunehmen und Stückchen für Stückchen zu integrieren. Schattenarbeit im jungiansichen Sinne. Verändern wir unsere Mythen, verändern sich unsere inneren Vorstellungsbilder (unsere Werte) und entsprechend wird sich unser Blick aufs Aussen, auf die Welt verändern. Bis jetzt war es mehrheitlich ein Blick, der uns Menschen selber und der Umwelt systematich grossen Schaden zugefügt hat. Es ist an der Zeit, dies zu ändern und lebensbejahendere und menschenfreundliche Mythen zu verinnerlichen. Dazu gibt es ein sauberes wissenschafltiches Fundament, das uns ermöglicht einen neuen Zugang zum Körper, den Gefühlen und dem Mehr-als-reine-Materie (GEIST im Sinne von Jean Gebser) zu finden.

Machen wir uns an die Arbeit, es gibt viel zu tun! Gerne begleite ich dich dabei.

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