Ich will Ihnen grundsätzlich nichts unterstellen – ich behaupte einfach, dass auch Sie in irgendeiner Form süchtig sind. Sie glauben mir nicht?

Dann ist es sicher kein Problem für Sie, einfach für 3 Wochen mit dem Rauchen aufzuhören – oder ganz auf Kaffee oder Alkohol zu verzichten – oder keine Schokolade mehr zu essen – oder ganz auf Zucker oder auf tierische Produkte inkl. Käse und Milch zu verzichten.

Wir können sagen, dass es sich hier um „physische“ Süchte handelt – was nicht ganz korrekt ist, wie Sie im Laufe dieses Blogs lesen werden. Falls Sie ihre Lust nach bestimmten Nahrungsmitteln oder Drogen gut im Griff haben, gibt es aber noch ganz andere Formen von Süchten; ich spreche da von den „kognitiven“ Süchten. Ein Beispiel: Sie sind nicht fähig für 24 Stunden ihr Smartphone in eine Schachtel zu packen und es sowohl physisch wie auch gedanklich zur Seite zu legen. Schon nach ein paar Minuten (oder nach ein paar Stunden) wird irgendeine Stimme in Ihnen sagen: „Wo ist mein Mobile Phone, ich muss doch meine Nachrichten checken, was passiert auf der Welt, hat mir jemand geschrieben, dem ich antworten muss“ – Sie wissen nun sicher aus ihren persönlichen Erfahrungen, was ich mit einer „kognitiven“ Sucht meine. Die allermeisten Menschen in unserer Gesellschaft können sich auch laut wissenschaftlichen Erhebungen einen Tag im Leben ohne Smartphone gar nicht mehr vorstellen – auf anderen Kontinenten leben auch nach wissenschaftlichen Erhebungen sehr viele Menschen ohne Smartphone sogar glücklicher. Auch Sport bis zum Umfallen oder nicht eine Stunde am Strand auf einem Liegenstuhl sein zu können, sind Süchte, welche im mentalen / kognitiven Bereich zugeordnet werden können.

Bei der Betrachtung von Süchten geht es nicht darum, ob ein Leben in Askese oder eine Abstinenz der richtige Weg im Leben ist. Jeder Mensch kommt mit solchen „Dingen“ an einen Punkt, wo die Sucht schadet, das Leben oder die Gesundheit einschränkt oder gefährdet, sei das auf körperlicher oder psychischer Ebene.

Eine Betrachtung des Menschen aus der Perspektive des Autogenen Trainings

Der Urvater des Autogenen Trainings, Johannes Heinrich Schultz, war Arzt und Psychotherapeut in verschiedenen Fachrichtungen. Durch seine Beobachtungen in verschiedenen Universitätskliniken stellte er fest, dass das Denken, die Emotion und der Körper sehr stark miteinander verbunden sind (heute, 90 Jahre später zeigt dies die Wissenschaft in verschiedenen Bereichen der Neurologie, der Psychologie und Psychosomatik im Detail auf). Aus diesen Beobachtungen entwickelte Prof. Dr. Schultz das Autogene Training, um unter anderem auch Süchte bei Menschen „heilen“ zu können. Das Wort „heilen“ ist allerdings nicht ganz korrekt, denn im Autogenen Training geht es darum die Menschen zu befähigen, sich selbst regulieren (heilen) zu können. Die weit verbreite Meinung und Publikation, dass das Autogene Training grundsätzlich eine „Entspannungsmethode“ ist, stimmt fachlich nicht – oder ist in der Aussage nicht vollständig. Im Autogenen Training geht es darum, dass ein Mensch wieder fähig ist, seine Gedanken, seine Emotionen und seinen physischen Körper auf verschiedenen Ebenen zu regulieren – wir können auch sagen zu steuern.

Die Brücke vom Autogenen Training zu einer Sucht

Nehmen wir die Sucht nach Schokolade einer Frau als Beispiel um aufzuzeigen, wie wir mit dem Autogenen Training der Sucht begegnen und sie überwinden können (als Gegenpol können Sie sich auch einen Mann vorstellen, der immer Bier trinkt). Die Frau isst also täglich Schokolade. Sie weiss, dass dies weder gesund noch gut für ihre Figur ist. Nur, da ist eine Stimme im Kopf (Gedanke), ein Gefühl von ich will (Emotion), wie auch ein Kribbeln irgendwo im Körper (der physische Aspekt), wo Schokolade will oder braucht. Das sieht bei dieser Frau in ihrem Inneren etwa so aus: Stimme: „Puh, heute war ein anstrengender Tag, gönne dir ein Stück Schokolade, das hast du dir jetzt aber wirklich verdient. “Gefühl: „Ungutes Gefühl, leicht gereizt, mir fehlt etwas. “Körper: „Wird nervös, unruhig, spannt sich an.“ Der angespannte Körper und das ungute Gefühl heizen die Gedanken weiter an und sagen: „Aber jetzt muss Schokolade her“ – und trotz dem guten Vorsatz der Frau, befindet sich in Windeseile Schokolade im Mund – oder 5 dl Bier in der Fettleber des Mannes. Wenn wir uns selbst beobachten, werden wir feststellen, dass die Gedanken, das Gefühl und der Körper irgendwann wie eins werden. Wenn ich als Mensch den Umgang mit Schokolade, Bier oder dem Smartphone nicht steuern kann, bin ich süchtig.

Die Methode Autogenes Training bei einer Sucht

Fachlich ist das Autogene Training in etwa eine Mischung aus Selbstentspannung, Selbstbeeinflussung und Selbsthypnose – ich verwende den Sammelbegriff „Selbstregulation“, da dieser die Methode am besten beschreibt. Autogenes Training bei einer Sucht (oder natürlich ganz allgemein in jeder Lebenssituation) heisst, dass SIE ihre Gedanken, ihre Emotionen und ihren Körper direkt regulieren / steuern können.

Das Autogene Training in Zusammenhang mit einer Sucht geht davon aus, dass auf allen 3 Ebenen Einfluss genommen werden muss, um eine Sucht „auflösen“ zu können. Ein zentraler Punkt bei der Methode liegt bei der Beeinflussung des vegetativen Nervensystems. Dieses regelt Abläufe und Funktionen im Körper, welche nicht willentlich beeinflusst werden können. Durch das Training sind jedoch Menschen in der Lage, den Tonus von Anspannung / ich will Schokolade – auf Entspannung / ich lasse die Schokolade los, zu wechseln.

Das erreichen Sie, indem Sie während jeweils 2 bis 3 Wochen die verschiedenen Grundübungen des Autogenen Trainings mindestens 1-mal pro Tag für 10 bis 15 Minuten trainieren. Durch das gezielte Konzentrieren und Fokussieren auf bestimmte Körperteile und Funktionen, wie die Arme, den Atem oder die Stirn, nimmt man der Sucht Energie weg (Gedanken, Emotionen oder eine Anspannung im Körper ist nichts anders als Energie). Das drückt sich dann so aus, dass sich die Gedanken (ich will Schokolade) beruhigen und sich die Emotion und der Körper (ungutes Gefühl, Anspannung) entspannen / schwächer werden.

Zusätzlich wirken bei einer Sucht Suggestionen oder Affirmationen sehr unterstützend und beschleunigend. So kann nach dem Trainieren der Grundübungen ein bestimmter formelhafter Vorsatz mindestens 10-Mal wiederholt werden, um das Loslassen der Sucht zu begleiten. Der Grund der Wirksamkeit liegt darin, dass unser Unterbewusstsein im Entspannungszustand offen für unterstützende Sätze und Formeln ist. Einige Beispiele im Zusammenhang mit einer Sucht sind: „Ich schaffe es“, „Schokolade egal“ oder „Ich bin ganz ruhig, gelassen und frei.“

Nach meiner langjährigen Erfahrung mit Süchten und dem Autogenen Training schaffen es ein sehr grosser Teil der Menschen, mit dem Erlernen und Trainieren der Methode und der Begleitung eines Lehrers für Autogenes Training ihre Süchte aufzulösen. Machen auch Sie sich das Autogene Training zu Nutze!

Quellenangaben:
– J.H. Schultz: Das autogene Training. Versuch einer klinischen-praktischen Darstellung; 19. unveränderte Auflage. Thieme, Leipzig, 1991

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