Liebe Frau Kulcsarova, schön Sie wiederzusehen! Springen wir doch gleich ins kalte Wasser. Ob Sorgen in der Pandemie, politische Ereignisse, berufliche Herausforderungen oder Familienstreitigkeiten - in der heutigen Zeit wird Vieles von uns abverlangt. Wie schaffen wir es, den Kopf nicht zu verlieren?
In dem man ihn bei sich behält :) Gefühle und Gedanken sind ein so stark verwobenes Etwas, dass es uns häufig schwerfällt, den einen Teil vom anderen fernzuhalten, zu trennen, sinnvoll zusammenzufügen oder gar einfach mal in Kontroverse stehen zu lassen. Jedes Gefühl wird ausgelöst und löst etwas aus - Gedanken, Interpretationen, Reaktionen. Da eine richtig gute Mischung erst aus drei Komponenten entsteht, gesellt sich häufig noch der Körper dazu: Bauchschmerzen, Herzrasen, Atemnot, Schwindelgefühl oder Schmetterlinge im Bauch etc. Doch es sind nicht die Gefühle, die uns zu schaffen machen, es sind nicht die Situationen, sondern unsere ganz eigene Bewertung ebendieser. Es sind unsere Gedanken. Die Interpretation, die wir den Dingen beimessen.
Das klingt einleuchtend. Aber ist es überhaupt möglich unsere Gedanken immer richtig zu steuern?
Wahrscheinlich nicht, weshalb auch viele daran verzweifeln. Häufig höre ich von meinen Klienten: „Ich möchte lernen, mein Gehirn abzuschalten.“ Ich sage dann immer: „Nun, das erledigt sich ganz von allein, wenn Sie tot sind. Bis dahin würde ich bevorzugen zu erlernen, wie ich meine Schaltzentrale dazu bringe, in meinem Sinne zu funktionieren.“ Wenn unser Verstand ständig Zustände von Freude produzieren würde, würden wir wohl keine Sekunde daran denken, ihn abschalten zu wollen. Aktuell sind wir die, angeblich, meist entwickelte Spezies auf dieser Welt. Unser sensationelles Gehirn und die Sprache sind unsere wichtigsten Unterscheidungsmerkmale - doch scheinbar macht uns unser Must-Have-Brain manchmal das Leben schwer. Spannend: unser nächste Primatenverwandte ist der Bonobo. Im Laufe der Evolution wanderte dieser in den Käfig und wir Richtung Smartphones, Tinder und Instagram. Im Sanskrit wird der herumspringende, rastlose Teil unseres Verstandes als „Murkata“, Monkey-Mind bezeichnet. Scheint unser Erbe zu sein.
Was sind die wichtigsten Faustregeln für ein glückliches Leben Ihrer Meinung nach?
Glück ist sehr individuell. Was aber unseren Verstand und unsere psychische Dynamik glücklich macht, lässt sich mit ein paar Regeln festhalten: Etwas sollte man sich über den Verstand verinnerlichen: er arbeitet für uns, nicht wir arbeiten für den Verstand. Also im optimalen Fall. Der Job unseres Denksystems ist es, uns am Leben zu halten, Sicherheit zu suchen, Ablehnung zu vermeiden und Gefahr zu bannen. Dabei ist Ablehnung ein wahres Angstmotiv geworden. Wir meiden sie, wie der Teufel das Weihwasser. Wir erleben sie als Bedrohung - und diesem Empfinden liegt tatsächlich ein evolutionäres Prinzip zu Grunde. Vor langer Zeit, als Menschen in Stammesgesellschaften lebten, war die Ablehnung oder das Ausgestossen werden aus einem Stamm eine lebensgefährliche Angelegenheit. Ausserhalb des Stammesschutzes war man den Gefahren der Welt ausgesetzt. Man drohte zu verhungern oder von einem hungrigen Tier zerfleischt zu werden. „Survival of the fittest“ sagte Darwin damals über das Tierreich. Eine essenzielle Angst, die auch Neugeborene und Kinder erleben, denn ohne ihre Fürsorgepersonen könnten sie sich nicht selbst versorgen und dies geht tatsächlich mit Todesangst einher. Auch die Auswirkungen emotionaler Deprivation sind ein sehr spannendes Gebiet der Psychologie.
Lässt sich diese Erkenntnis über Ablehnung nach so vielen Jahren der Evolution noch auf den Menschen übertragen?
Heutzutage dürfte bei Erwachsenen Ablehnung eher wenige lebensbedrohliche Konsequenzen mit sich ziehen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass wir von einem hungrigen Säbelzahntiger mitten auf offener Strasse zerfleischt werden, wenn beispielsweise unser Partner mit uns Schluss macht. Wir könnten rein theoretisch mit 5 Katzen und 20 Hunden auf einer einsamen Insel leben, ohne jeglichen Menschenkontakt und unsere mittlere Lebenserwartung würde dadurch um keine Sekunde sinken. Doch die lebensbedrohliche Gefahr lauert im emotionalen Bereich. Wir stellen uns Ablehnung und/oder Zurückweisung als etwas furchtbar Schreckliches vor. Als etwas, das uns den Boden unter den Füssen wegreisst, uns das Herz bricht oder uns signalisiert, dass wir nicht gut genug sind. Nicht selten höre ich: „Ich kann mit Ablehnung nicht umgehen“, „Ich kann ohne meinen Partner nicht sein.“ Hier kommt mir eine kleine Anekdote in den Sinn: eines Tages beschloss mein Patient mit seiner Frau gemeinsam zur Sitzung zu kommen. Es war keine richtige Paartherapie, sondern das Einbeziehen der Gattin in den Prozess, was ich immer sehr willkommen heisse. Er wollte sie vorstellen und sagte: „Und hier ist meine bessere Hälfte, Melanie.“ Ich sagte zu ihm: „Heisst das, dass Sie für sich selbst ihre schlechtere Hälfte sind?“ (lacht)
Jeder integriert wahrscheinlich solche Floskeln oder Gedanken in seinen Alltag, ohne weiter darüber nachzudenken. Macht das etwas mit unserem Unterbewusstsein?
Hier ist eine immens wichtige Regel, wie unser Verstand funktioniert: es hört jedes einzelne Wort, das wir sagen. Jedes Wort erzeugt ein, Bild, erzeugt ein Gefühl, erzeugt eine Reaktion. Zum Beispiel: „Ich kann ohne ihn nicht sein“ erzeugt das Bild von schrecklicher Einsamkeit, nicht in der Lage zu sein zu leben, Entbehrungen, Schmerz und schlaflose Nächte. Dies schaltet das Gehirn in einen Alarmzustand, löst das Gefühl von Angst und Furcht aus. Immenser Stress entsteht. Der moderne Säbelzahntiger :). Jeder Gedanke erzeugt sozusagen einen Blueprint: die Richtung wird vorgegeben und Gefühl und sogar Körper reagieren.
Wie bei einer ausgewachsenen Panikattacke > Der Gedanke sagt: „Oh nein, oh Gott, ich will da nicht durch, zu viele Menschen auf dem Bahnhof“.
- Das Hirn antwortet: „Mayday, Alarm im Cockpit, schalte zum Körper“ .
- Und der Körper reagiert: „Ach du liebes bisschen, ich muss da mal sofort das Blut aus den Extremitäten wegpumpen, Herzrasen on, Hyperventilierung auf Maximum. Der Mensch muss gewarnt werden“.
Die Aufmerksamkeit geht Richtung der Körpersignale: „Shit, ich kann tatsächlich nicht mehr atmen, mein Herz rast, ich werde sterben, ich wusste doch, dass das passiert...“und der Rest ist Geschichte.
Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele ist ein sehr interessanter Aspekt. Gibt es noch weitere psychologische Zusammenhänge, die jeder wissen sollte?
Eine weitere Regel unseres fabelhaften Verstandes: es liebt alles, was familiär ist und lehnt das ab, was unbekannt ist. Bekanntes ist low-risk, Unbekanntes hingegen erfordert Einsatz. Dies ist der Grund, weshalb es uns manchmal so schwerfällt, den guten alten Trott zu verlassen und lang fällige Aspekte unseres Lebens zu ändern. Aber was passiert ist, dass wir jeden einzelnen Tag, an dem wir alles genau gleich machen wie am Tag davor – also zum Beispiel immer den gleichen Weg zur Arbeit nehmen - wir eigentlich im Gestern leben, in der Vergangenheit. Nichts Neues unter der Sonne. Aber geht die Lebenslinie zwischen den zwei Fixpunkten Geburt und Tod nicht Richtung vorwärts?...
Welche Therapieform oder welches Training bietet sich an, sein Mindset so umzuprogrammieren, wie Sie es beschreiben?
Die Methode, mit der ich arbeite heisst Rapid Transformational Therapy. Das Grundgerüst sieht so aus: Alles beginnt mit einem Gedanken - die guten Dinge, aber auch die Schlechten. Die Glühbirne war einst ein genauso kleines Gedankenfünkchen wie die Atombombe. Weshalb also nicht gute Gedanken generieren? Die Verhaltenstherapie fokussiert bei der Therapie der Depression auf die sogenannte kognitive Umstrukturierung. Klingt wie ein Begriff aus der Elektrotechnik, ist auch mindestens genauso trocken, aber dabei geht es um nichts anderes, als dass man negative Gedanken entkräftet, rational hinterfragt und sie in Positive ummodelt. Ich sehe das so: wenn ich Gedanken habe, die mich blockieren, wie: „Es nervt jetzt Sport zu treiben, dabei weiss ich, dass es mir guttun würde“, dann mache ich nichts anderes, als es mir einzureden, dass es mich nervt. Jeden Tag mache ich also nicht das, was mir eigentlich guttäte. Ergo ist der Satz „Es nervt mich, oder auf gutschwitzerdütsch: „es schiesst mich an“ eine Lüge, die ich mir selber erzähle. Warum dann nicht eine bessere Lüge erzählen, wie: „Ich liebe es Sport zu treiben, das tut mir richtig gut“. Gute Gedanken ziehen mehr von ihrer eigenen Sorte an - dasselbe gilt für die Schlechten. Aber es ist so: Therapie beginnt dann, wenn die Menschen beginnen eine Veränderung umzusetzen. Alles andere ist Training - und es ist im Grunde egal, welchen Namen es trägt.
Letzte Frage: welche Hinweise würden Sie jetzt ganz allgemein Jemanden geben, der gerade vor Ihnen sitzt und ein glücklicheres Leben führen möchte?
Wenn Sie sich selbst oder alte Muster verändern möchten, dann geben Sie ihrem Verstand klare Instruktionen und nehmen Sie sich klare Ziele vor. Ein Beispiel: wenn wir unsere Nahrung sorgfältig auswählen wie Rohkost, Low Carb, vegan, Paleo, flexitarisch und wer weiss was noch, wenn wir bereitwillig Müll sortieren, warum dann nicht auch unseren eigenen mentalen "Mist"? Lernen sie ihre eigenen Interpretationen von Situationen zu trennen. Verinnerlichen Sie sich, dass Gefühle vorübergehende Zustände sind - sie kommen und gehen. Dass sie ihre Gefühle und Befindlichkeiten mit ihren Gedanken steuern können. Das ist die Zusammenarbeit zwischen Verstand und Gefühlen, oder Bewusstsein und Unterbewusstsein. Die Psyche hat eine absolut faszinierende Dynamik. Lernen sie diese mit Neugier zu betrachten. Bekämpfen sie nichts! Wer gegen sich selbst kämpft, gewinnt nichts. Merken sie sich, es geht nicht darum, alles auf Anhieb bewältigen zu können und im Handumdrehen einem Zen-Buddhisten mit ihrer inneren Klarheit Konkurrenz zu machen. Es geht um den Weg und darum, was dieser mit uns macht.